Ein Aufsatz von Dipl.-Ing. Norman Gasser über „Stolpersteine“ in der Schnittstellenkoordination zum Nachteil des Estrich- und Bodenlegers (Stand 05.08.2011)
Die vom Bundesverband Flächenheizungen und Flächenkühlungen e.V. (et al.[1]) herausgegebene „Schnittstellenkoordination bei Flächenheizungs- und Flächenkühlungssystemen in Neubauten (Mai 2011)[2]“ bzw. „ …in bestehenden Gebäuden (Januar 2009)“ stellt ein wichtiges Arbeitshilfsmittel für Planer, Bauleiter und Handwerker gleichermaßen dar.
Beteiligte, die nicht auf vertiefende Kenntnisse in der Heizungstechnik zurückgreifen können, gehen bei Beachtung der Checklisten NB1, NB2, TB1 und TB3 sowie beim Führen der Protokolle P1 bis P8 davon aus, alle wesentlichen Punkte berücksichtigt zu haben. Zumindest in der Theorie mag das auch zutreffen.
„Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in
der Praxis weit größer als in der Theorie…“
(Zitat: Ernst Ferstl, österr. Lehrer, Dichter u. Aphoristiker, geb. 1955)
Mit den folgenden Ausführungen wird darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere die Protokollierung innerhalb der Schnittstellenkoordination verbesserungswürdig ist und juristische Feinheiten aufweist, die sich nachteilig für den Estrich- und Bodenleger[3] auswirken können.
Es gibt eine Vielzahl an Gründen, weshalb Nass-Estriche die Belegreife nur sehr langsam erreichen. Neben den üblichen raumklimatischen Bedingungen, den spezifischen Baustoffeigenschaften und der Einbaudicke, kann es einen weiteren Grund dafür geben, weshalb im Speziellen Heizestriche langsam oder ungleichmäßig Feuchtigkeit abgeben.
Nachdem der Heizungsbauer die Dichtheitsprüfung nach DIN EN 1264-4 mit dem Protokoll P1 bestätigt hat und der Estrich durch den Fachverleger eingebaut worden ist, wird nach Einhaltung entsprechender Wartefristen mit dem Funktionsheizen begonnen. Das Funktionsheizen dient dem Heizungsbauer in Verbindung mit dem Protokoll P2 als Nachweis dafür, dass die Fußbodenheizung bestimmungsgemäß und mangelfrei funktioniert.
Darauf verlassen sich in der Regel nicht nur Bauherr und Architekt, sondern gleichermaßen die Nachfolgegewerke des Heizungsbauers.
Nicht selten kommt es jedoch vor, dass Fußbodenheizungen trotz vorheriger Dichtheits- und Funktionsprüfung im Sinne der Schnittstellenkoordination bei Beachtung der Checklisten und Protokolle nicht den geltenden Vorschriften entsprechen.
Häufig wird kein oder ein nicht fachgerecht durchgeführter hydraulischer Abgleich vorgenommen!
Zur mangelfreien Leistungsausführung gilt es als anerkannte Regel der Technik, einen hydraulischen Abgleich vorzunehmen. Dieser ist nach Energieeinsparverordnung (EnEV) bzw. VOB Teil C „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) – Heizanlagen und zentrale Wassererwärmungsanlagen – DIN 18380“ sowie DIN V 4701-10 „Energetische Bewertung heiz- und raumlufttechnischer Anlagen – Teil 10: Heizung, Trinkwassererwärmung, Lüftung“ für alle zu erstellenden sowie im größeren Umfang zu sanierenden Heizungs- und Kälteanlagen verbindlich vorgeschrieben.
Aus technischer Sicht liegt beim Fehlen eines hydraulischen Abgleichs ein Mangel an der Heizung vor. Eine hydraulisch nicht korrekt abgeglichene Heizung wird in der Regel keine gleichmäßige Wärmeverteilung erreichen, was u.a. erhöhte Energiekosten zur Folge haben
[1] In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Estrich und Belag e.V. (BEB) und anderen Fachverbänden.
[2] Kann kostenfrei unter www.flaechenheizung.de heruntergeladen werden.
[3] Trifft gleichermaßen für Parkett- und Fliesenleger zu!
Die Abbildung 1 (links) zeigt zwei Heizkreise in einem Raum, aufgenommen mit einer Thermografiekamera. Alle Regelventile waren vollständig geöffnet und trotzdem wurden die Heizkreise nicht gleichmäßig warm.
Grund: Kein bzw. ein nicht fachgerecht durchgeführter hydraulischer Abgleich.
Die Abbildung 2 (rechts) zeigt einen Blick in einen Heizkreisverteiler mit einer Thermografiekamera. Deutlich erkennbar ist, dass einzelne Heizkreise ohne Funktion sind. Auch hier waren alle Regelventile geöffnet.
Grund: Unzureichende Spülung/Entlüftung sowie ein fehlender hydraulischer Abgleich des Heizungssystems.
In beiden Fällen war die Protokollierung nach Schnittstellenkoordination vollständig durchgeführt und sowohl von Heizungsbauer als auch Architekt unterschrieben worden.
Verlegt ein Bodenleger einen dampfdichten Belag auf einer beheizten Estrichfläche (gem. Abbildung 1), so kann es trotz korrekter Durchführung der Feuchtemessung zu einem Schaden am Bodenbelag kommen. Der Bodenleger misst bspw. an einer Messstelle im Raum die Feuchtigkeit des Estrichs und stellt die Belegreife fest. Wenn innerhalb des Heizkreises, in dem er die Messung durchgeführt hat, die abgegebene Wärmeleistung der Fußbodenheizung höher gewesen ist als in einem anderen Heizkreis, dann ist nicht sicher auszuschließen, dass die Belegreife des Estrichs innerhalb der weniger erwärmten Bereiche noch nicht vorliegt. Sowohl Estrichleger als auch Bodenleger haben im Rahmen ihrer üblichen Prüfpflicht keine Möglichkeit, diesen Sachverhalt vor Ort hinreichend genau zu beurteilen.
Was passiert aber, wenn sich der Belag nach einiger Zeit bereichsweise vom Untergrund ablöst und z.B. eine Blasenbildung entsteht?
Die Beweislast für das Vorhandensein eines Mangels am Bodenbelag trifft nach der Abnahme den Bauherrn. Aufgrund des Erscheinungsbildes dürfte dieser Beweis leicht zu führen sein.
Die Beweislast, dass eine nicht nach den anerkannten Regeln der Technik ausgeführte Fußbodenheizung ursächlich für den Mangel (aus Sicht des Bauherrn) bzw. Schaden (aus Sicht des Bodenlegers) ist, wird wahrscheinlich beim Bodenleger liegen.
Den Beweis im Nachhinein jedoch anzutreten, dass die Fußbodenheizung zum Zeitpunkt der Bodenbelagsverlegung nicht ordnungsgemäß funktioniert hat, wird nicht oder nur sehr schwer möglich sein. Folgende Gründe sind denkbar:
1. Zwischenzeitlich könnte der Heizungsbauer die Anlage in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt haben, bspw. weil der Bauherr eine unzureichende Wärmeabgabe während der Heizperiode gerügt hat.
2. Eine zum Zweck der Überprüfung notwendige Inbetriebnahme der Heizung (insbesondere außerhalb der Heizperiode) erfordert ggf. die Mitwirkung eines Heizungsfachmanns und bedarf in jedem Fall der Zustimmung des Bauherrn. Dieser wird sich auf das von ihm, dem Architekten, dem Bauleiter sowie dem Heizungsbauer gemeinsam unterschriebene Dichtheitsprüfungs- und Funktionsheizprotokoll beziehen und dadurch versuchen, die Einwendungen abzuwehren.
Folgende Überlegungen sollten ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden:
Technisch gesehen ist es unbedeutend, ob mehrere Heizkreise über eine gemeinsame Thermostatregelung verfügen und damit planerisch wie ein zusammenhängender Heizkreis behandelt werden. Entscheidend ist, dass die Estrichflächen im Bereich zusammengelegter Heizkreise tatsächlich gleichmäßig erwärmt werden. Dies ist ohne einen fachgerecht durchgeführten hydraulischen Abgleich nicht gewährleistet, was normativ die Anordnung einer Bewegungsfuge erfordern könnte.
In DIN 18560-2:2009-09 heißt es im Abschnitt 5.3.3 Estrichfugen:
[…] Innerhalb einer Heizfläche mit unterschiedlich beheizten Heizkreisen (keine Randzonen) sind in der Regel zwischen diesen auch Bewegungsfugen anzuordnen. […]
Während des Funktions- und Belegreifheizens ist eine durch Schwinden bedingte Rissbildung im Estrich nicht auszuschließen. Derartige Risse sind vor der Belagsverlegung i. d. Regel unproblematisch, da diese nach dem Vorliegen der Belegreife beseitigt werden können. Wenn einzelne Heizkreise aufgrund einer unzureichenden Entlüftung bzw. eines nicht fachgerecht vorgenommenen hydraulischen Abgleichs jedoch im Rahmen des Funktions- und Belegreifheizens nicht mit der maximalen Auslegungstemperatur beansprucht worden sind, verbleibt auch bezüglich einer späteren Rissbildung ein nicht unerhebliches Restrisiko.
Verbesserungsvorschlag
Es wird angeregt, dass die Protokolle im Rahmen der Schnittstellenkoordination dahingehend ergänzt werden, dass neben der Dichtheit auch das Spülen/Entlüften aller Heizkreise sowie der fachgerecht durchgeführte hydraulische Abgleich durch den Heizungsbauer nachzuweisen sind.
In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Methode des hydraulischen Abgleichs (nach Tabelle, mit Datenschieber, nach Berechnung oder automatisiert[1]) sowie die erforderlichen Ventileinstellungen zu dokumentieren. Dadurch wird die Leistung des Heizungsbauers nachvollziehbar und kann bei Bedarf überprüft werden. Ein einfaches Abhaken in einer Checkliste lässt keine Rückschüsse auf die Wirksamkeit eines hydraulischen Abgleichs zu.
Bei Heizkreisen, die zusammenhängend betrieben werden sollen und zwischen denen planerisch auf eine Bewegungsfuge verzichtet wird, sollten im Rahmen des Protokolls P2 an mehreren Stellen je Heizkreis die Oberflächentemperaturen des Estrichs gemessen und dokumentiert werden. Bei einem bestimmungsgemäßen Betrieb dürfen (mit Ausnahme in den Randbereichen) keine nennenswerten Temperaturdifferenzen auftreten.
Außerdem wird empfohlen, dass die Protokolle P1 bis P5 dahingehend abgeändert werden, dass diese ausschließlich vom Heizungsbauer zu unterschreiben sind und dadurch die Qualität einer Inbetriebnahmeerklärung erhalten.
Es wird jedem Architekten, Bauleiter und vor allem Bauherrn dringend davon abgeraten, ein Protokoll zu unterschreiben, bei dem es um den Nachweis einer korrekt durchgeführten Prüfung geht, die er ggf. selbst weder nachvollziehen noch fachlich überwachen kann.
In der Regel werden weder Bauherr noch Architekt mit Gewissheit sagen können, ob tatsächlich jeder einzelne Heizkreis ordnungsgemäß gespült/entlüftet worden ist und dass alle Strömungskreise bei der Druckprüfung geöffnet und nicht abgeschiebert waren.
Die Unterschriften von Bauherr, Architekt, Bauleiter und Heizungsbauer auf einem Protokoll können den nicht zweckmäßigen „Zusammenschluss“ der Parteien zum möglichen Nachteil der Nachfolgewerke Estrich- und Bodenleger stärken. In einem Rechtsstreit wird es aufgrund der geleisteten Unterschriften insbesondere dem Architekten und Bauleiter schwer fallen, die Durchführung der Prüfungen in Bezug auf Fehler in Frage zu stellen.
Empfehlung
Sowohl Estrich- als auch Bodenleger sollten sämtliche Nachweise über die Durchführung der Druck- und Funktionsprüfung inkl. fachgerecht durchgeführten hydraulischen Abgleich beim Bauherrn anfordern. Falls die Unterlagen nicht vollständig überreicht werden, sollte der Unternehmer im Sinne der VOB Teil B §4 (3) schriftlich beim Bauherrn Bedenken anmelden.
[1] Z.B. nach dem System von REAL hydraulik, www.realhydraulik.com
Information
Auszug aus dem VDMA* Einheitsblatt 24199 „Regelungstechnische Anforderungen an die Hydraulik bei Planung und Ausführung von Heizungs-, Kälte-, Trinkwarmwasser- und Raumlufttechnischen Anlagen“, Mai 2005:
[…] Hydraulisch abgeglichene Strömungskreise sind eine Voraussetzung für den bestimmungsgemäßen Betrieb von Anlagen. Eine wirtschaftliche und ökologische Betriebsweise (Energieeinsparung, CO2-Minderung, etc.) wird damit sichergestellt. […]
Hydraulisch abgeglichene Strömungskreise vermeiden typische Mängel wie z.B. ungleichmäßige bzw. nicht bestimmungsgemäße Wärme-/Kälteverteilung, zu hohe oder zu geringe Pumpenleistung, falsche Ventilautorität, falsch angepasste Regelkurven, Reduzierung des Wirkungsgrades bei Wärme- und Kälteerzeugern, Geräuschbildung sowie die Nichterfüllung der technischen Anschlussbedingungen bei Fernwärmeanlagen. […]
3.4 Hydraulischer Abgleich
Planung und Einstellung von Widerständen in Zweigströmen von verzweigten Netzen, um die erforderliche Ventilautorität zu erreichen. […]
* VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.)
Resümee
Ohne einen fachgerecht durchgeführten hydraulischen Abgleich ist ein bestimmungsgemäßes Funktionsheizen nicht gewährleistet und der Erfolg des Belegreifheizens ungewiss
Die vorliegende Fachinformation wurde an folgende Verbände zur Kenntnisnahme versandt:
> Bundesverband Estrich und Belag e.V.
> Zentralverband Deutsches Baugewerbe e.V.
> Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.
> Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandendburg e.V.
> Bundesverband Flächenheizung und Flächenkühlung e.V.
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